Kontrapunkte von Veronika Tocha
Locker konturiert und als zarte Linie zunächst vom Umraum dominiert, löst sich in Johannes Bittmanns hochformatigem Gemälde Passage (2013) eine männliche Figur vom rechten Bildrand. Einmal ins Auge gefasst, gerät sie zum Bildzentrum, projiziert sie ihre selbstportraitistischen Züge auf den Betrachter, auf dass dieser selbst die Konturen fülle, die Figur besetze und sich mit ihr auf die Reise, den Übergang, die Passage mache. Der Weg ist eigentümlich und ungewiss, unsichere Terrains mögen hier lauern ebenso wie die großen geometrischen Körper – spitze, flottierende Dreiecke und runde Kreise fast wie im Computerspiel. Soll ich ausweichen, mir Bahn brechen, sie schultern, lassen sie mich stolpern, mich ziehen, unversehrt?
Johannes Bittmanns Arbeiten sind Öl- und Acrylmalereien, die auf allen Ebenen Widersprüchlichkeiten entfalten. Dabei bedient sich der junge Künstler aus einem Pool unterschiedlichster Gestaltungselemente, die er versiert gegeneinander ausspielt, um sie sodann zu Neuem und Eigenem zu verknüpfen: Abstraktion und Gegenständlichkeit, Farbfeld und Kontur, geometrische Strenge und grafischer Schwung gehen auf der Leinwand eine spannungsvolle Verbindung ein. Darin erweist sich das eine jeweils als Bedingung und Notwendigkeit für das andere, scheint die Autonomie, nach der die einzelnen Gestaltungselemente streben, immer nur in der Ganzheit des antagonistischen Kräftefeldes realisierbar.
Das dichte Geflecht der (Bedeutungs)Schichten komponiert Johannes Bittmann in einem teils planvollen, teils intuitiven und spielerischen Prozess. Mit virtuos eingesetzten Farben und malerischen Strukturen schafft er einen abstrakten Bildgrund, der sich in einen dreidimensionalen Raum öffnet. Aus diesem tritt die Figur als Handlungsträger hervor, ohne sich dabei in den Vordergrund zu drängen.
Die Figuren, die Johannes Bittmann seit 2012 einsetzt, sind vereinfachte Gestalten, die zumeist aus Konturen unterschiedlicher Qualität und Farbigkeit bestehen. Immer wieder findet sich dabei ein spezifischer Typus, der mit denselben großen, fast kindlichen Köpfen, denselben runden, wenn man so will knubbeligen Händen versehen ist. Der heiteren Vielfarbigkeit des Umraumes zum Trotz muten diese Figuren zutiefst melancholisch an. Darin vermögen sie den Betrachter unmittelbar anzusprechen und anzurühren. Stets sind die Figuren damit auch Füllformen, Leer- oder besser Unbestimmtheitsstellen, die in der Rezeption mit eigenen Imaginationen, Assoziationen und Erinnerungen angereichert werden wollen.
So wird die Figur, in welcher der Künstler immer auch selbst steckt, zurückgeworfen auf das Du des Betrachters, welches zum Ich avanciert. Als Du und als Ich misst sie sich an dem, was sie umgibt. Sie wird vom Umraum deformiert und in ihrer bisweilen eigentümlichen Anmutung bestimmt, während sie diesen ihrerseits gestaltet und formt. Am Ende findet sich hier ein Gleichgewicht, das tröstlich wirkt: denn der Betrachter begreift sich in der Figur als Teil eines übergreifenden Kräfteprinzips, das für jedes und jeden seinen angestammten Platz, seine ureigene Bestimmung und Berechtigung vorgesehen hat.